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AutorenbildMaj & Rouven

Kuba - Past Perfect

Aktualisiert: 26. Juni 2019

HAVANNA | VINALES | PLAYA LARGA | VARADERO


Endlich reisten wir nach Kuba. Auf dieses außergewöhnliche Land freuten wir uns ganz besonders. So fuhren wir in Cancun zum Flughafen und checkten ein. Der Flieger hob ab und 50 Minuten später sollten wir landen. Je mehr wir uns Havanna näherten, desto dunkler wurden die Wolken um uns herum. Der Flieger tauchte in das Pechschwarz ein. Von unten mag es ein tolles Schauspiel gewesen sein, im Flieger möchte man bei dieser Naturgewalt jedoch nicht sitzen. Der Pilot setzte zur Landung an, durchbrach die dunklen, schwarzen Wolken und von der einen auf die nächste Sekunde durchbohrte ein stechendes Gefühl unsere Bäuche. Wir wurden in die Sitze gepresst und ich hatte das Gefühl, dass der Druckausgleich in der Kabine fiel. Der Pilot musste durchstarten. Zu gefährlich wäre eine Landung bei diesen Wetterbedingungen gewesen. Rouven, der von Natur aus nicht gerne fliegt, isolierte sich nun vollständig mit seinen Kopfhörern und kniff die Augen zusammen. Ich, die eigentlich überhaupt keine Flugangst hat, erwischte sich selbst mit feuchten Augen und einem Stoßgebet. Dem ganzen Flieger merkte man die Anspannung an. Ich riss meine Musik aus den Ohren, denn anders als bei Rouven, möchte ich in solchen Momenten die volle Aufmerksamkeit meiner Sinne auf das Geschehene richten. Bloß nichts verpassen. Eine Frau hinter mir schrie vor Angst laut auf. Vielleicht war meine Taktik doch nicht die Beste und ich sollte lieber wieder Musik auf die Ohren tun. Der Pilot machte derweil eine Durchsage, dass wir aufgrund des Unwetters noch 20 Minuten in der Luft kreisen. Sollte es dann nicht besser werden, würden wir einen anderen Flughafen, 140 km von Havanna entfernt, ansteuern. Bitte nicht, dachte sich wohl das gesamte Flugzeug und stöhnte auf. Letztlich war es egal wo wir landen, Hauptsache wir kommen heile und gesund unten an. So umkreisten wir das Gewitter und der Pilot zog seine Runden. Nach 20 Minuten erneut die Durchsage, dass wir einen zweiten Versuch starten. Nervös krallten wir uns in die Sitze und die Regenwolken ließen das Flugzeug verdunkeln.

Die Landebahn war nun so nah, dass ein Abbruch nicht mehr möglich gewesen wäre. Der Himmel ergoss sich über uns und das Rollfeld glich einem See. Dennoch, der Flieger landete! Regenwasser klatschte an die Fensterscheiben und das gesamte Flugzeug applaudierte erleichtert. Das war also unser Start auf Kuba; der größten Insel in der Karibik.

Wir verließen den Flieger und passierten einen langen Korridor, um in den Flughafen zu gelangen. Wir wussten bereits, dass Kuba uns mit verfallenen Gebäuden begrüßen würde und diese allseits präsent sein werden. Direkt am Flughafen hätten wir jedoch nicht damit gerechnet. Der Starkregen durchbrach die Decke des Terminals und dicke Tropfen fielen auf den Boden. Immer größer wurden die Pfützen und es glich mehr dem Gefühl eine Tropfsteinhöhle zu besichtigen, als in einem Flughafen nach dem Ausgang und Gepäckband zu suchen.

Am Ende des Korridors reihten wir uns in eine Schlange wartender Reisender ein. Das Handgepäck wurde erneut durchleuchtet und wir konnten nur dankbar sein, dass wir die technischen Geräte nicht aus unseren Taschen separiert hatten. Am Ende des Kontrollbandes tauschten die Angestellten augenscheinlich den neuesten Klatsch und Tratsch aus und vergaßen dabei alles um sich herum. Neben ihrer lautstarken Unterhaltung fiel sämtliches, vom Band laufendes, Handgepäck krachend zu Boden und überschlug sich mehrfach. Wir retteten unsere Habseligkeiten in letzter Sekunde und fluchten wild gestikulierend auf deutsch umher. Weitere Formulare mussten ausgefüllt werden, bevor wir endlich aus dem Flughafen raus durften. Der Regen erwartete uns bereits am Ausgang und ein dunkelgrüner Oldtimer steuerte den Taxistand an. Er nannte zu unserem Erstaunen einen sehr fairen Preis und so begann unsere Kubareise in Havanna mit einer ersten Fahrt im Oldtimer. Und wie old der war! Die Sitze waren nicht mehr, als Sprungfedern mit Stoff überzogen. Die Fenster ließen sich weder öffnen noch schließen. Die Scheibenwischer hatten keine Chance gegen den prasselnden Regen und Anschnallgurte gab es in den 50er Jahren noch nicht. Wir genossen das Flair Kubas, das sich schlagartig in unseren Herzen ausbreitete. Je näher wir der Stadt kamen, desto trubeliger und bunter wurde es um uns herum.



Und den Text über Havanna muss ich direkt mit einer Liebeserklärung an diese Stadt beginnen.

Dies ist eine Liebeserklärung an Havanna. Havanna, was bist Du nur für eine Schönheit. Du verbirgst diese jedoch im Mantel des unaufhörlich steigenden Zerfalls Deiner Gemäuer. Du bist eine lebendige, knallbunte, aufregende, vor Geschichte trotzende Vintage Stadt, die uns mitten ins Herz trifft. Du bist fotogener als viele Städte vor Dir. Dich gibt es kein zweites Mal auf dieser Welt und mit Deiner Mischung aus Zigarren, Müll und Abgasen verbreitest Du den Duft Deiner Vergangenheit. Du bist eine Perle, ein Schatz in der Karibik, der trotz bröckelnder Fassade unendlich stark leuchtet. So tauchen wir hinein in Dein Leben und versuchen es zu verstehen. Versuchen Deine Vergangenheit, Deine Gegenwart und Deine Zukunft zu vereinen und Dich mit all Deiner Pracht zu respektieren. Dies ist eine Liebeserklärung an Havanna.



Wir buchten drei Nächte in der Hauptstadt Kubas und konnten es kaum erwarten in die Stadt einzutauchen. So machten wir uns noch am Nachmittag auf, unsere Gegend zu erkunden. Mitten ins Auge fiel uns der riesige, türkis-grüne Plattenbau direkt gegenüber von unserer Unterkunft. Was für ein Monster von einem Gebäude. Wie der Zufall es so wollte, war im obersten Stockwerk eine Bar mit Aussicht, die wir in Havanna besuchen wollten. Ein Griff an die Türklinke und ein Gespräch mit den Anwohnern später stellte sich jedoch heraus, dass die Bar aufgrund von Renovierungsarbeiten seit acht Monaten geschlossen war. Ärgerlich. So betrachteten wir diese Maschine von Außen und fragten uns, was sich wohl im Inneren verbirgt? Wohnen hier noch Menschen oder steht es leer?




Wir kehrten noch in ein Lokal ein und bestellten etwas typisch kubanisches. Das Essen war gut, die Bedienung jedoch noch besser. Eine feurige Kubanerin erzählte uns, dass Deutschland für Sie das Land aller Länder sei. Sie liebt Deutschland und wünscht sich nichts mehr, als eines Tages dort für immer zu leben. Woher diese Liebe kommt? Sie lebte, gemeinsam mit ihrer Mutter, vor einigen Jahren für sechs Monate in Koblenz. Und das Gefühl, das sie dort hatte, wird sie nie vergessen. Sie fühlte sich frei, unabhängig, ohne Kontrolle vom Staat und glücklich. Und obwohl sie über das ganze Gesicht strahlte und nicht unglücklich schien, so tat sie mir leid. Uns wurde damit bereits am ersten Abend schmerzlich bewusst: Was für uns so selbstverständlich, ist für Andere unerreichbar. Wir hoffen, sie eines Tages in Deutschland anzutreffen; und wer weiß, ob das nicht tatsächlich passiert.

Am nächsten Tag flanierten wir durch die Altstadt Havannas und am Malecón entlang, der Uferpromenade am Meer. Wir beobachteten Touristen, die sich mit Zigarren im Mundwinkel in Oldtimern durch die Straßen Havannas kutschieren ließen und die Fischer, die sich an der Bucht zum Angeln versammelten.




Die Gebäude an den Straßen wiesen alle Spuren des unaufhörlichen Zerfalls der Stadt auf und niemals würde man sich vorstellen können, dass in diesen Gebäuden Menschen leben. An einigen Häusern fehlten die Haustüren gänzlich und so erspähten wir einen Blick in die Dunkelheit des Gebäudes. Menschen, die auf ihren Schaukelstühlen saßen und dem Ameisenkrieg im Fernsehen zuschauten. Kinder, die mit Steinen auf der Straße spielten und deren Mütter, die auf den Betondächern der Häuser ihre Wäsche aufhängten.




Einige Gebäude strahlten trotz Zerfalls eine solche Schönheit aus. Die Häuser lassen die prachtvollen Straßen Havannas der Vergangenheit nur erahnen. Was für uns Ambiente, Vintageflair und Schönheit im Verfall bedeutet, ist für die Kubaner jedoch Alltag. Es gibt sie eben immer, die zwei Seiten der Medaille. Dies alles von Außen abzulichten, als außergewöhnlich zu betrachten und den alten Charme Havannas zu lieben ist einfach. Denn in unserer Heimat wartet ein freies und komfortables Leben auf uns. Doch was bedeutet es hier zu leben? Ist das reine Glück abhängig von dem Komfort der uns umgibt? Oder ist es ein täglicher, unerbittlicher Kampf, der hier gelebt wird? Warum aber lächeln dann alle Kubaner so herzlich und ehrlich? Kaum eine Bevölkerung ist von ihren Gefühlen zu ihrem Land wohl so gespalten. Ähnlich vielleicht, wie damals zu Zeiten der DDR. Während die Einen die Revolution und damit Fidel Castro verehrten und nach wie vor verehren, wünschen sich die Anderen ein Leben in absoluter Freiheit. In den USA oder Europa, denn Auswandern ist hier ein allgegenwärtiges Thema.





Wer durch Havanna schlendert, der bekommt von dieser Stadt automatisch eine Geschichte erzählt. Die Geschichte Kubas. Die kolonialen Villen, die von den Spaniern erbaut wurden und nun Ruinen gleichen. Die Oldtimer, die den Einfluss der USA in den 50er Jahren deutlich machen. Die Zigarren und Strohhüte jener Kubaner, die noch ihren Ursprung in sich tragen und die Musik, die uns aus allen Häusern, allen Gassen und jeder Bar entgegen strömt.







So wie viele andere Touristen vor und auch nach uns, steuerten wir die berühmte Bar „El Floridita“ an. Ernest Hemingway war hier Stammgast und er liebte die gemixten Daiquiris.

Die Bar erstrahlt nach wie vor im kolonialen Glanz und ein paar kurvige Kubanerinnen sangen rhythmische Melodien und trommelten auf ihren Instrumenten. Die Atmosphäre hätte schöner nicht sein können, wenn man nur hineingekommen wäre. Hunderte Touristen strömten in die Bar und die Eingangstür blieb niemals unbetreten. Wir schossen ein paar Fotos und überließen den Ort wieder den Kreuzfahrern, die bereits mit großen MSC Schildern die Bühne betraten. Eben auch das ist Havanna, Tourismus pur. Kurz darauf blieb Rouven vor einer anderen Bar stehen. Ein Fernseher leuchtete ihn an und übertrug das Championsleague Finale Liverpool vs. Tottenham. Welch Rarität in Havanna - also rein da und der zweiten Halbzeit mitfiebern. Die Stimmung war toll, Kloppo holte sich endlich das Ding und ich trank den stärksten Mojito aller Zeiten. Der Barkeeper nickte nur liebevoll und hob seinen Daumen in die Höhe. Mehr Rum bedeutet hier wohl besserer Mojito. So verließ ich schwankend die Theke und wir machten uns auf den Weg zum Barbier. Rouven ließ seine grau melierten Goldlöckchen extra wachsen, damit er sich auf Kuba die Haare schneiden lassen konnte. Eines seiner Highlights sollte folglich der Besuch beim Barbier werden. Zuvor hatten wir den passenden, authentischen Laden gefunden. Selbst ein Michael Jackson Double lungerte vor dem Laden rum, also konnten die Fähigkeiten des Figaros nicht so schlecht sein. Ich sah den Friseur gleich doppelt, denn der Mojito entfaltete mehr und mehr seine Wirkung. Vielleicht lag es auch am Selbstportrait des Friseurmeisters. Sein Konterfei aus Öl thronte prachtvoll von der Wand. Rouven bat mich, die Friseur Session in Fotos festzuhalten und ich knipste munter drauf los. Es entstanden ca. 150 Bilder und ich dachte mir, dass eines davon schon passen würde. Ein paar betrunkene Selfies meinerseits im Spiegel des Salons später, schaute mich Rouven plötzlich erschrocken an. „Oh Gott, Maj! Hab ich noch Augenbrauen?“ Die Frage löste einen Lachanfall in mir aus und ich nickte nur. Der Barbier hatte in seinem Fleiß auch die Augenbrauen und Schnauzbart getrimmt. Erleichtert lehnte er sich wieder zurück und genoss die letzten Handgriffe des Altmeisters.




Mit frisch geschnittener Haarpracht enterten wir ein landestypisches Restaurant. Nach einem Teller Hummer und weiteren Mojitos, natürlich inklusive Live Band, verabschiedeten wir uns von der Altstadt und gingen Heim. Unseren müden Beinen gönnten wir für den Rückweg, nach zähen Verhandlungen über den Preis, ein Coco Taxi. Diese besondere Art Taxi besteht aus einer Kugel mit drei Reifen. Es sieht aus wie ein Autoscooter mit Haube. Ein geniales Gefährt, das wohl nur in tropischen Gefilden zum Einsatz kommen kann. Mit einem letzten Blick auf den Malecón endet ein erster, grandioser Tag in Havanna.




Passend zum 100 jährigen Jubiläum vom Bauhaus, durften wir zu unserer Überraschung auch wunderbar erhaltene Bauhäuser zwischen den verfallenen Ruinen entdecken. So frühstückten wir am nächsten Morgen in einem komplett renovierten Gebäude von 1932. Die Fenster, das Treppenhaus und die Böden waren wieder in ihren Ursprungszustand gebracht und alle Details hochwertig aufgearbeitet. Die Besitzer, ein kubanisches Ehepaar, waren reizend und wie alle kubanischen Männer machte er einem viele Komplimente. So oft wie hier wurde mir noch nirgends zugezwinkert. Die Kubaner jedoch verstehen es hervorragend, dies weder aufdringlich noch sexistisch rüberzubringen. Einfach eine nette Geste und ein Kompliment. Sie zeigten uns das gesamte Haus und Fotos des Zustandes vor der Renovierung. Fünf Jahre harte Arbeit haben sie investiert und sind vollkommen zurecht stolz auf das Erreichte.



So steuerten wir satt und zufrieden die kubanischen Hop-On-Hop-Off Busse an. Die roten Doppeldecker sollten uns für heute ein bisschen durch die Gegend kutschieren und unsere müden Füße schonen. Leichter gesagt als getan, denn die Haltestellen sind weder ausgewiesen noch erklärt. Nach viel Fragerei und Warterei rollte der rote Doppeldecker endlich an und wir starteten die Sightseeing-Tour. Durch die Sprechanlage des Busses flogen uns unverständliche, spanische Wortfetzen entgegen, die scheinbar die vorbeirauschende Szenerie beschreiben sollte. Es hätten durchaus auch Ausschnitte aus dem Revolutionsradio von Ernesto Ché Guevara sein können. Wobei wir den Revolutionshelden vielleicht noch deutlicher verstanden hätten.

Im Westen der Stadt war dann Endstation und wir schlenderten durch die Gassen der Locals. Kaum einen Touristen trafen wir in dieser Gegend.




Die Wohnhäuser glichen Müllhalden und Ruinen. Allein der Gedanke daran, dass hier Kinder groß werden, stimmt mich nachdenklich. Plötzlich zog sich der Himmel zu! Tiefschwarze Wolken wurden zu einem gigantischen Schauspiel am Himmel und keine zwei Minuten später ergoss sich dieser über uns. Schnell suchten wir unter einem kleinen Vorsprung Schutz und warteten ab. Die Regenschauer in der Karibik kommen schnell, sind heftig, aber zum Glück meist nur von kurzer Dauer. Nach Abklingen des Regens, verließen wir unseren Unterschlupf und die warme Brise trocknete unsere nassen Klamotten.



Auf unserer vergeblichen Suche nach zwei bekannten Wandgemälden durchzogen wir die Straßen. Niemand konnte uns weiterhelfen.

Nur zufällig und mit ein bisschen Glück fanden wir letztlich die Straße mit den Objekten der Begierde. Eine kubanische Flagge samt Konterfei von Ché Guevara und das Logo von Deutschland sucht den Superstar bröckelten uns als Fresko entgegen. Hier wurde 2014 eine Staffel von DSDS gedreht und natürlich war Rouven darüber bestens informiert. Die alte Klatschtante, die im Boulevard zuhause ist. So knipsten wir dutzende Fotos, schlenderten noch weiter durch die Altstadt und nahmen den pulsierenden Herzschlag Havannas in uns auf.




Die nächste Doppeldecker-Tour brachte uns zum „Platz der Revolution“. Dort präsentierten sich die Nationalhelden des Landes als gigantische Umrisse.

Wir schlenderten bei Sonnenschein noch weiter Richtung Universität und passierten dabei ein jubelndes, blaues Stadion. Rouven war schon voller Adrenalin, doch leider war es die falsche Sportart und er konnte keinen neuen Ground machen.



Ein köstliches Eis und eine Besichtigung der Universität später, fanden wir uns plötzlich am Ausgangspunkt unserer Hop-On-Hop-Off Reise wieder. Wie konnte das sein? Uni und Stadion lagen direkt bei uns um die Ecke? Havanna war zwar aufgebaut wie ein Schachbrett, so ganz durchblickt hatten wir es dennoch nicht. Laut Google Maps sollten diese Sehenswürdigkeiten an einer völlig anderen Stelle innerhalb Havannas liegen. Aber Google Maps und Kuba sind keine Symbiose, sonder eher vage Schätzungen der Kartographen. Und so ging ein weiterer toller Tag in Havanna zu Ende. Morgen sollte unsere Reise weitergehen, mitten in die Natur, zu den Tabakfeldern Vinales.

Die Busfahrt war sehr angenehm und der Angestellte der Busgesellschaft begrüßte uns mit warmen Worten. Zwischendurch erklärte er uns ein wenig über die Gegend, die wir gerade durchfuhren und die Landschaft wurde zunehmend grüner und satter. Traumhafte Szenerien rauschten an uns vorbei uns wir ergötzten uns an der Aussicht. Nichts hatten wir uns mehr verdient, als endlich mal eine positive Busfahrt. Vollkommen entspannt kamen wir im Tal des Tabaks an. Wir freuten uns auf vier Tage Natur, Ruhe, Zigarren und Spaziergänge. So buchten wir uns, noch aus Deutschland heraus, eine Holzhütte bei einem Tabakbauern und sehnten uns dem rustikalen Esprit entgegen. Die Hütte war zweckmäßig eingerichtet und einen kurzen Fußmarsch von der Stadt entfernt.



Die Gastgeberin „China“ empfing uns mit zwei Mangosäften und wenigen Worten. Zu 100% fühlten wir uns nicht wohl, denn in unseren romantischen Vorstellungen haben wir es uns etwas idyllischer und privater vorgestellt. Auch „China“ war mir von der ersten Sekunde an nicht wirklich sympathisch. Sie war freundlich, jedoch nicht sonderlich herzlich. Wir machten das Beste aus der Situation und wollten keine voreiligen Schlüsse ziehen. Nachdem wir ausgepackt hatten setzten wir uns auf die Veranda und wurden sogleich von Jose-Luis, dem Herren des Hauses und Plantagenbesitzer, begrüßt. Solche Charaktermenschen wie Jose-Luis mit Worten zu beschreiben, fällt ungemein schwer. Wenn sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln formten und seine Zähne offenbarten, dann hatte man das Gefühl, dass sich sein ganzer Körper zu einem gigantischen Grinsen verformte. Sein Bart war vom Tabak verfärbt und seine Haut von Wind, Sonne und viel Arbeit gezeichnet. Wenn er die Bühne betrat, dann gab es nur Liebe, Harmonie, Frieden und „Todo Bien’s“. Diese zwei Worte, die übersetzt „Alles Gut“ bedeuten, summte er Tag ein und Tag aus vor sich hin. Und Niemandem auf der Welt hätten wir diese Worte mehr Glauben geschenkt als ihm.

So verbrachte er sein Dasein täglich breit grinsend auf seiner Farm und ich kann mir gut vorstellen, dass auch Nachts im Schlaf ein Lächeln über seinen Mund huscht.




Nachdem der erste Morgen in Vinales anbrach, sagten mir Rouvens trübe Augen alles, was ich wissen musste. Er war krank und sollte den Tag lieber im Bett verbringen. Unsere Reiseapotheke hielt das Nötigste bereit und so fiel er wieder fest in den Schlaf.

Alleine aß ich mein Frühstück und fragte unsere Gastgeber, ob ich ausreiten könne. Hier soll es tolle Wege durch das Tal geben und mit einem kubanischen Cowboy als Guide hatte ich Lust diese Wege auf dem Sattel eines Pferdes zu erkunden. Ein „Todo Bien“ und „No Problema“ später saß ich auf dem Pferd „Pinto“ und ritt durch die Natur. Die Farbe Grün, Tabakfelder, Ochsen, Landwirte bei der Arbeit und roter Boden umgaben mich. Ich genoss den Ausritt und so zogen wir durch die Landschaft. Aber Rouvens anhaltenden Monologe und sein Witz fehlten mir! Hoffentlich enden wir nicht bei der Rückkehr nach Deutschland wie ein Pärchen, das nie mehr ohne den Anderen das Haus verlassen kann. Wir werden sehen…




Als ich zurück in die Unterkunft ritt, ging es Rouven unverändert schlecht und ich ließ ihn schlafen. Ich setzte mich auf die Veranda und beobachtete die Landschaft. Ein paar Hühner gackerten aufgeregt durch die Gegend und unzählige Schwalben schossen wie „Speedy Gonzales“ in unser Strohdach zu ihren Nestern. Ein Pferd wieherte und ein weiteres antwortete aus der Ferne. Der Wandel zwischen lautem Havanna und leisem Vinales lag nur zwei Autostunden voneinander entfernt. Was für ein Leben!

Am nächsten Morgen fühlte sich Rouven etwas fitter und so machten wir uns auf, das Tal zu entdecken. Ich war ihm schließlich einen Ausritt voraus. Auf unserem Fußmarsch durch Matsch und kniehohen Gräsern erkundeten wir die traumhaft schöne Landschaft.



Und dann sahen wir unsere nächste Herausforderung schon von Weitem. Zwei massige, riesige Ochsen versperrten den Weg und hinderten uns am Weiterkommen. Sie grasten zwar friedlich vor sich hin, hatten uns aber bereits ins Visier genommen. Wir zögerten. Sollten wir uns vorbeischleichen oder kehrt machen? Würden sie uns angreifen? Und wie weit würde ihr Seil reichen, an dem sie festgebunden waren? Und würde der Pflog, an dem das Seil befestigt war, auch im Boden stecken bleiben? Zu viele Konjunktive, um an den zwei Kolossen so mir nichts dir nichts vorbei zu schleichen. Wer von uns beiden würde sich als Erster vorwagen und den Torero machen; Rouven oder ich?

Wir wägten unsere Chancen und Möglichkeiten ab und trauten uns ein paar Schritte vor. Dann noch ein paar und noch ein paar… Nur noch wenige Meter trennten uns von den Giganten. Da machten uns die Ochsen bereitwillig Platz und bewegten sich an den Wegesrand. Wir eilten vorbei, immer in dem Bewusstsein, dass sie beim Rückweg auf uns warten würden.

Bei unserem heutigen Ausflug kamen wir, nicht nur aufgrund der Ochsen, schnell an unsere Grenzen. Die Wege waren unpassierbar, denn der nächtliche Regenschauer hatte den Boden vollständig aufgeweicht. Die gnadenlose Sonne ließ das Wasser verdampfen und die Hitze stieg an uns auf. Kein Schatten war in Sichtweite.

Durchgeschwitzt und mit Matschklumpen bis in die Kniekehlen, zog es uns Richtung Innenstadt. Auf dem Rückweg ließen uns die Ochsen links liegen und so überstanden wir die Wanderung ohne Blessuren. In der Stadt angekommen, nahmen wir uns ein Taxi und fuhren zu einem spektakulären Aussichtspunkt. Dort lag das Tal des Tabaks malerisch zu unseren Füßen. Hätten wir Staffelei und Pinsel dabei gehabt, wir säßen vermutlich noch Heute da. Ich würde mit meinem wenig ausgeprägtem künstlerischen Talent bereits zehn Leinwände bearbeiten. Rouven hingegen hätte in seinem Perfektionismus und Talent vielleicht gerade den ersten Baum fertiggemalt. Dieser aber wäre perfekt!



Die frische Luft und der heutige Ausflug taten uns beiden gut und so schlenderten wir durch die Straßen Vinales. Einige bekannte Gesichter aus der letzten Busfahrt kamen uns entgegen und plötzlich erspähten wir noch eine weitere Gruppe. Sie verließ gerade den Supermarkt den wir ansteuerten. Vier Amerikaner, die wir bereits in der Ruinenstadt „Tikal“ in Guatemala getroffen hatten. Was für ein enormer Zufall, denn zwischen Heute und Damals lagen drei Wochen und zwei weitere Länder. Wir staunten nicht schlecht und fragten uns, ob sie uns auch auf die Bahamas folgen würden.

Wir flanierten durch die belebten Straßen Vinales und erspähten aus der Ferne immer wieder größere Menschenansammlungen vor Geschäften.

Es hatte den Anschein, dass der Black Friday von November auf den Juni vorverlegt wurde und die Massen um die neueste Playstation prügeln.

Nun muss man verstehen, dass Kuba ein für uns schwer durchschaubares System hat. Es gibt zweierlei Währungen, solche für Einheimische und solche für Touristen und noch immer kämpft Kuba mit dem Import von Gütern. So erhalten die Einheimischen einige Lebensmittel nur an bestimmten Tagen und lediglich eine rationierte, abgezählte Menge. Recht schnell erkannten wir, dass es sich bei der heutigen Lieferung um Salz handelte und alle auf die Ausgabe warteten. Wie muss sich das anfühlen, nicht immer alle Lebensmittel verfügbar zu haben? Nicht so viel von allem kaufen zu können, wie man will? Und nur in den Supermärkten für Einheimische einkaufen zu dürfen? Denn nur dort wird ihre eigene Währung akzeptiert. Hier mussten wir schmerzlich mit ansehen, dass es auf der Welt zwei Klassen gibt. Darüber hinaus sahen wir viele Kubaner mit W-Lan Routern stolz von Dannen ziehen. Vermutlich gab es dieses Wunderwerk der Technik auch nur heute zu kaufen. Oder war am Ende doch Black Friday?



Weiter die Straße runter gab es um 16:30 Uhr angeblich ein Fußballspiel im hiesigen „Stadion" und Rouven zuckte schon vor Vorfreude. Die Zeit schritt voran und wir deckten uns, vor dem sportlichen Höhepunkt der Kuba-Reise, noch mit Bier ein. Kaum waren wir aus der Tür des Supermarktes getreten, krachte der gesamte Himmel über uns laut auf. Pechschwarz verdunkelte sich alles um uns herum und so kauerten wir uns, mit vielen weiteren Schutzsuchenden, unter das Vordach des Supermarktes.

Rouven schaute nervös auf die Uhr; schon 16:45 Uhr… Meine Bemühungen ihm zu versichern, dass niemand bei diesem Unwetter in einem nicht überdachten Stadion spielen würde, waren vergebens. Auf mich wurde nicht gehört und bei der ersten, minimalen Verbesserung des Wetters gingen wir los. Immer Richtung Stadion.




Wenig überraschend, lag das Fußballfeld überschwemmt und verlassen vor uns. Da der Starkregen wieder zunahm, gesellten wir uns zu einigen Locals auf die Tribüne und harrten aus. Dicke Regentropfen fanden ihren Weg durch die löchrige Wellblechüberdachung der Betontraversen. Das Spielfeld dieser „Mehrzweck-Arena“, welches halb Baseball- halb Fußballfeld war, versank im Monsun.



Zugegeben, dieses Stadion hatte Charakter. Es wirkte mit seiner rosa-blauen, fast zerfallenen Tribüne fröhlich, charmant und irgendwie bedauerlich. Nach 1,5 Stunden verließen wir unseren Unterschlupf trotz anhaltenden Regens. Trockenen Fußes würden wir es sowieso nicht nach Hause schaffen. Wozu sollten wir also warten? Den Heimweg antretend, suchten wir nach diesem vergebens. Kein Weg war mehr gezeichnet, lediglich reißende Bäche durchzogen die Landschaft. Behutsam und auf jeden unserer Schritte bedacht, durchquerten wir das tiefe Nass und kamen heile zu Hause an. Was für ein Wetter und was für ein Tag. Wie hätten wir diesen besser ausklingen lassen, als mit Mojitos und Zigarren!




So erlebten wir das Naturschauspiel des Regens und Gewitters von unserer heimeligen Veranda aus und plauderten, mehr oder weniger verständlich, mit Jose-Luis. Ich nutzte die Gelegenheit und zeigte Mr. „Todo Bien“ direkt noch das ständig flackernde und leicht Funken sprühende Licht an unserer Zimmerdecke, das nach dem Unwetter immer elektrisierender auf uns wirkte. Und was danach geschah war uns solch ein Erlebnis, dass wir hier eine Story der Woche daraus gemacht haben. Alles weitere lest Ihr in der Story der Woche 05 - „Todo Bien“.

Den letzten Tag in Vinales verbrachte wir wenig spektakulär. Mit viel Schlaf, viel Essen und noch mehr Mojitos. Dass wir trotz wenig Essens keine Kilos verlieren, wundert bei so viel Alkohol und Limonaden nicht mehr. Auch heute schauten wir kurz beim Stadion vorbei. Vielleicht wurde das Spiel von gestern ja auf heute verlegt. Die Sonne schien vom Himmel und kleine Schäfchen-Wolken zogen vorüber. Nach Regen oder Unwetter sah es zumindest nicht aus. Wir nahmen Platz auf der Tribüne und sahen, wie kleine Kinder nach und nach auf das Spielfeld rannten. Der Trainer schleifte ein Netz hinter sich her, das er an die Wand hing. Baseballschläger und Fanghandschuhe verrieten, dass auch heute nichts für Rouven zu holen war. Falsche Sportart, so ein Mist! Dennoch hatte die Atmosphäre mit den Locals um uns herum etwas besonderes und so blieben wir einen Moment sitzen. Ein abgemagerter Straßenhund gesellte sich zu uns und suchte nach etwas Liebe. Die sollte ihm natürlich nicht verwehrt bleiben und wir verpassten der Hundedame ein paar Streicheleinheiten. Nach vielen nicht getroffenen Bällen und einigen pummeligen Kindern, die beim Runden-Laufen sichtlich betrogen hatten, stolperten schon die nächsten Kinder auf das Spielfeld. Und diesmal in Fußballbekleidung. Ein Trainingsspiel folgte und es war wenigstens ein kleines Trostpflaster.




Im Panorama des Sonnenuntergangs spazierten wir zufrieden nach Hause und die letzte Zigarre auf unserer Veranda kündigte unseren Abschied von Vinales an. Wir verließen das Tal des Tabaks am Folgetag in Richtung Playa Larga. Wir waren nicht unglücklich über einen Tapetenwechsel. Ich freute mich besonders auf das Meer. Seit ich ein Kind bin, löst der Klang der Wellen das Gefühl unendlicher Zufriedenheit aus. Und dabei spielt es kaum eine Rolle, ob es das karibische Traummeer ist oder die kalte raue Ostsee im Winter.



Früh morgens sammelte uns das Taxi „Collectivo“ von unserer Unterkunft ein und sollte uns direkt nach Playa Larga bringen. Busse fahren auf dieser Strecke nicht und das Taxi „Collectivo“ bildet unsere einzige Alternative. Diese Fortbewegungsart ist auf Kuba ein sehr gängiges Verkehrsmittel für Touristen. Meist handelt es sich bei den Autos um sehr alte, schrottreife Oldtimer, die vollkommen überladen zwischen den Städten hin und her tingeln. „Schlimmer als die Chickenbusse in Belize kann es kaum werden!“, scherzten wir noch ahnungslos. Anfangs stellten wir uns eine Fahrt im Oldtimer noch romantisch vor. Diese Romantik ging allerdings sehr schnell flöten. Der Fahrer schlug pünktlich auf, verstaute unser Gepäck und bis auf eine weitere Person waren wir im rostigen Oldtimer allein. Rouven wollte sich gerade nach vorne auf den Beifahrersitz setzen, da stoppte der Fahrer ihn. „Ab nach hinten! Da kommen noch zwei weitere Passagiere, die dann vorne sitzen.“ Noch zwei weitere Passagiere? Wie eine Ölsardine quetschte sich Rouven nach hinten und ich saß eingeklemmt in der Mitte. Nach kurzer Zeit klebten unsere Oberschenkel alle aneinander und die Fahrt begann. Die Touristin zu meiner Rechten entpuppte sich als sehr sympathische Deutsche und wir kamen schnell ins Gespräch. Eine weitere Reisende wurde abgeholt und stieg ein. Sie gestikulierte wild und deutete an, dass ihr Freund wohl an der Hauptstraße auf uns warten würde. Also wurde auch ihr Gepäck verstaut und die Suche nach dem unbekannten, fünften Begleiter begann. Im Wageninneren wurde es zunehmend heißer und wir probierten die Fenster weiter zu öffnen. Leider vergebens; es gab schlichtweg keine Griffe. Da sich auch die Türen nicht von Innen öffnen ließen, verdrängten wir den Gedanken: „Wie kommen wir hier eigentlich raus, wenn mal ein Unfall passiert?“ und so blieb uns nichts anderes übrig, als auf den Vermissten zu warten. Die Zeiger unserer Uhren bewegten sich stetig im Kreis und die Minuten verstrichen. Der Taxifahrer rollte mit den Augen und sagte: „Das sind Spanier. Die haben immer die Ruhe weg“. Wir drei pünktlichen Kartoffeln waren genervt, zogen hier aber den Kürzeren. Plötzlich erblickten wir unseren Don Quijote am fernen Horizont. Bewaffnet war er mit Chipstüten und Wasserflaschen. Das war tatsächlich der Grund gewesen, weshalb wir eine Dreiviertelstunde in der brütenden Hitze im Auto ausharren mussten. Die beiden brauchten noch etwas Proviant, den man natürlich nicht am Vorabend hätte besorgen können… Seelenruhig, ohne jeglichen Versuch einer Entschuldigung, stiegen die beiden Spanier in den Wagen. Wenn Blicke töten würden; ab diesem Moment wäre Rouven ein verurteilter Doppelmörder.

Bis zum Umstieg in Havanna verbrachten wir die nächsten zwei Stunden im knatternden Oldtimer. Auf durchgesessenen Ledersitzen, wenig frischer Luft und enorm lauter Techno Musik der 90er Jahre aus basslastigen Boxen. Das passte zwar nicht in unser Musikbild von Kuba, als dann aber „Blue (Da Ba Dee)“ von Eiffel 65 gespielt wurde, feierten auch wir kräftig mit. Und für einen kurzen Moment verflüchtigten sich Rouvens Mordgelüste an den Iberern.

Am Umsteigeplatz kurz vor Havanna waren bereits viele Taxis „Collectivo“ versammelt und teilten die Passagiere in neue Einheiten auf. Alle Touristen in Richtung Trinidad, einer kolonialen Großstadt im Osten Kubas, wurden in einen vollkommen schrottreifen Bus gestopft. Der Bus war dermaßen überladen und das Gepäck wurde zwischen die armen Backpacker verfrachtet.




Währenddessen wurden wir zu einem rostroten Oldtimer gebracht und ein sehr netter Fahrer empfing uns. Bloß wir zwei und ein weiterer Passagier stiegen ein. Der Franzose im Körper eines Russen versuchte direkt ein Gespräch mit uns anzufangen. Auf Französisch redete er wild auf uns ein. Als ich meinen Kopf zur Seite legte und ihm andeutete, dass wir kein Französisch sprechen, runzelte er kurz die Stirn und verstand die Welt nicht mehr. Als Highlight seines Charakters zeigte er unserem Fahrer während einer roten Ampelphase Videos von sich, in denen er in einem steril eingerichteten Wohnzimmer Salsa tanzte. Sichtlich peinlich berührt, würdigte der Fahrer das Video und war ebenso froh wie wir, als die Ampel auf grün sprang.

Nach weiteren zwei Stunden Fahrt, kamen wir endlich in Playa Larga an. Ob Saison oder nicht, hier war nie viel los. So bezogen wir ein kleines Strandhäuschen direkt am Meer und atmeten die frische Luft ein. Die geschichtsträchtige „Schweinebucht“ lag in unserem Weitwinkel und mit dem Wind um die Nase, dem Salz auf der Haut und der Sonne im Gesicht, ließ es sich aushalten. Dieser Ort war genau das, was wir erhofft hatten und brauchten. Die blaue Hütte erinnerte uns stark an den letzten Dänemark Urlaub mit der Familie und das Gefühl der Zufriedenheit breitete sich in unseren Herzen aus. Nach der schweißtreibenden Fahrt freuten wir uns auf den erfrischenden Sprung ins kühle Meer. Dieses entpuppte sich jedoch eher als lauwarme Suppe. Das Wasser ist durch das nahliegende Sumpfgebiet und den Mangroven dunkelrot gefärbt und so tobten wir in den „Blutwellen“ der Karibik.

In der Nacht träumte ich von meinem alten Weggefährten, unserem Familienhund „Capper“ aus Kindheits- und Jugendtagen. In meinem viel zu realistisch wirkenden Traum brach er sich die Pfote mehrfach und ich bemühte mich, ihn zum Tierarzt zu fahren. Alles hätte ich dafür getan, dass es ihm wieder gut ginge. Noch voller Emotionen aus der Nacht, öffnete ich das Fenster zur Meerseite. Mein Blick schweifte über das still liegende Wasser und den Sandstrand. Da humpelte er plötzlich in mein Blickfeld. Ein Hund mit einer absurd aussehenden, offensichtlich mehrfach gebrochenen Pfote. Diese Verletzung sah so scheußlich und brutal aus, dass ich kaum hingucken konnte. Er verweilte ein paar Sekunden, reckte seine Nase in die Höhe und humpelte davon. Übelkeit überkam mich, denn Traum und Wirklichkeit schienen zu verschmelzen. Was für eine skurrile Szene, was für ein merkwürdiger Start in den Tag, was für ein armer Straßenhund.

Da wir für heute einen Ausflug zum Schnorcheln geplant hatten, gingen wir direkt zum Busshuttle. Wir warteten in der ansteigenden Hitze und sahen das klapprige Gefährt bereits von Weitem. Dieser Schrotthaufen stammte noch aus Zeiten der Sowjetunion. Er war mit Abstand das schäbigste Fortbewegungsmittel, in das wir je eingestiegen sind. Die Tür hing aus dem Rahmen und gab nur einen Spalt zum Einsteigen frei, die Sitze waren aus Metall und schräg an die Buswände gelötet. Man traute sich kaum seinen Kopf an die Fensterscheiben zu lehnen, aus Angst, sie würden nachgeben. Zum Glück war es keine Fernreise mit diesem museumsreifen Gefährt.

Eine kurze Fahrt später kamen wir am ersten Spot an. Azurblaues Wasser empfing uns und die Sonne glitzerte auf die Wellen hinab. Den Einstieg über die glitschigen Steine überstanden wir glücklicherweise unbeschadet und nach vielen Versuchen, Rouvens Taucherbrille zu entwirren, schwammen wir zum Schnorcheln weiter ins Meer hinaus. Die Korallen in Ufernähe waren fast vollständig zerstört und die Fischschwärme hießen uns erst weiter draußen willkommen. Nach einer Weile sammelten sich alle wieder am „Bus“ und wir steuerten die nächste Schnorchelstation an. Eine Cenote. Da wir aus Mexiko nur die besten Erfahrung hiermit machten, freuten wir uns auf das Erlebnis. Leider zu früh, denn diese Cenote entpuppte sich als Moskitotümpel ohne Sicht nach unten. So verbrachten wir lieber die Zeit im Meer, das unweit der Cenote lag und schnorchelten in mitten bunter Fische und größeren Schwärmen.

Den Abend ließen wir mit einem schönen Dinner bei unseren Gastgebern ausklingen.

Während des Desserts guckte plötzlich ein kleiner brauner Kopf um die Ecke. Und humpelnd kam die Erinnerung an den Traum auf die Veranda. Meine Augen füllten sich mit dicken Tränen und wir begrüßten den kleinen Drei 1/2 Beiner. Ich sah, dass der Bruch schon lange her sein musste und er mit seinem Handicap sehr gut zurecht kam. Ich fragte die Gastgeberin, ob hier ein Tierarzt sei, wo wir ihn hinbringen können. Diese schüttelte nur den Kopf, mit leichtem Unverständnis, wie ich feststellten musste. Tierärzte sind auf dieser Insel so rar gesät, wie es gutes Bier gibt. Die ärztliche Versorgung auf Kuba ist schlecht und knapp, dass kaum Menschen die nötigen Behandlungen erhalten. In unseren westlichen Gedanken gefangen, können wir uns eine solche Knappheit kaum vorstellen. Die Krankenhäuser benutzen alte Instrumente aus den 60ern und waschen die Gummihandschuhe nach den Behandlungen notgedrungen aus. Das System ist hart und für Mitleid ist auf Kuba wenig Platz.

Bevor wir am Folgetag nach Varadero weiterfuhren, besuchte uns der kleine Hund noch auf ein letztes Wiedersehen an unserem Strandhaus. So verabschiedeten wir uns von Playa Larga und es ging in Richtung Norden, an die Traumstrände der Karibik.




Varadero ist das Ziel aller Touristen auf Kuba und wir waren gespannt, was uns hier geboten wird. Wir bezogen ein niedliches Casa Particular bei einer unglaublich liebenswerten Gastgeberin und schmissen uns direkt in die Baywatch Klamotten.

Keine fünf Minuten später standen wir mit offenen Mündern reglos am Strand. Wir trauten unseren Augen nicht. Mehrfach mussten wir uns kneifen, um nicht in einem Traum gefangen zu sein, aus dem wir nicht mehr aufwachen wollten.

Was für ein ein Meer…! Solch eine Schönheit hatten wir noch nirgends auf der Welt zu Gesicht bekommen. Die atemberaubende Perfektion aus feinem Sandstrand, türkisfarbenem und glasklarem Wasser. Dazu der strahlend blaue Himmel. Alles vereint, ergab es eine Symphonie für unsere Sinne. Fast ehrfürchtig stiegen wir hinein; ins Paradies. Das Wasser war angenehm frisch und das Gefühl von Urlaub stieg in uns auf. Die nächsten vier Tage gehörte uns dieses Panorama und wir wollten am Liebsten die Zeit anhalten.





Einzig der Hunger riss uns von dem Anblick des Meeres los und auf der Suche nach einem Lokal, trafen wir auf die liebenswerte Deutsche, mit der wir uns das Taxi „Collectivo“ von Vinales teilten. Wir aßen Tisch an Tisch und verstanden uns prächtig. Irgendwie schön, sich und seine Eindrücke auszutauschen. Wir vernetzten uns und wer weiß, vielleicht sieht man sich in Deutschland wieder.

In Varadero entstand bereits ab Tag zwei die Routine. Wir starteten mit einem fulminanten Frühstück in den Tag und verbrachten diesen dann am Meer. Zunächst suchten wir nach dem einsamsten Strandabschnitt und ließen uns von einem Coco Taxi an die obere Spitze des Landzunge fahren. Wie es das Schicksal so wollte, endeten wir bei unserer Suche durch Zufall auf einem Golfplatz. Diesen mussten wir passieren, um an die andere Strandseite zu gelangen. Schon beim Betreten des Rasens war uns bewusst, dass wir die Grenze der Legalität überschritten. Und keine drei Minuten später rollte ein Golfkart auf uns zu. Der Fahrer blieb neben uns stehen und rügte uns deutlich aber freundlich für unser Fehlverhalten.

Wir stellten auf ahnungslos und so fuhr er uns den Weg zum Strand in seinem Golfkart. Endlich wieder eine Fahrt mit diesem ultimativ genialen Gefährt. Sehr gut gelaufen…

Nach einer Weile fanden wir „unseren“ perfekten Platz für die nächsten Tage. Komplett verlassen und abseits der Hotelanlagen genossen wir die Zweisamkeit unter den schattenspendenden Palmendächer.




Denn niemand würde sich auch nur einen Meter aus seiner All inklusive Zone vom Strand wegbewegen. Neben den Einheimischen haben wir auch viele „Revoluzer“ erspäht. Diese wirkten mehr als „authentisch“ mit ihren im Souvernirshop ergatterten Barrette und Mützen. Man hätte sie glatt mit Ernesto Ché Guevara verwechseln können. Wären da nicht die omnipräsenten „All inklusive“ Bänder am Handgelenk gewesen, gleich neben den Rolex-Uhren. Letztendlich wurden sie als russische Pauschaltouristen entlarvt. Unterscheiden konnte man sie lediglich an der Farbe ihrer Armbänder, passend der zugehörigen Hotelanlage. Und die Farben dieser Bänder vermischten sich niemals am Strand. Jeder blieb brav an seinem zugewiesenen Strandabschnitt, ließ sich durch die aufgedrehte Musikbox beschallen und wurde mit Bier aus Plastikbechern bedient. Das Meer innerhalb dieser Zonen war übervoll mit Touristen und einen Ausblick konnte hier niemand genießen.

Knapp 3 km gingen wir daher täglich den Stand hoch, um an unsere Lieblingsstelle zu gelangen. Als Belohnung für den anstrengenden Marsch durch den Sand erwartete uns absolute Ruhe und paradiesische Zweisamkeit. Die Tage vergingen viel zu schnell und die Bücher auf dem Kindle wurden eines nach dem anderen verschlungen. So tiefenentspannt wie hier, waren wir lange nicht mehr gewesen.

Mit einem Burger in der Hand und einer Zigarre bestückt, die wir noch aus Vinales im Rucksack hatten, schauten wir der Sonne beim Untergehen zu. Abends, wenn alle All inklusive Touristen beim Dinner sitzen, strömen die Einheimischen an ihren Strand. Wie an Tischen im Restaurant, gruppieren sich die bekannten Gesichter im Meer und bilden Kreise. Bis spät in die Nacht verweilen sie im Wasser und verbringen eine gute, gemeinsame Zeit.




Manchmal schmerzt es, einen liebgewonnenen Ort auf unserer Weltreise verlassen zu müssen. Varadero ist so ein Ort. Gar nicht mal der Ort an sich, denn er weist nur mäßigen Charme auf. Hat kaum nennenswerte Essensmöglichkeiten, kaum Internet und auch keine ernstzunehmenden Supermärkte. Aber er hat Strände, für die das Wort „traumhaft“ den Weg ins Lexikon gefunden haben.



Aber morgen zieht es uns, vor dem Abflug auf die Bahamas, noch für einen letzten Tag nach Havanna. Wo unsere Reise vor zwei Wochen begann.

Wieder zurück in Havanna bezogen wir dieselbe Unterkunft, wie bereits bei unserer Ankunft auf Kuba. Somit kannten wir uns bestens in der Gegend aus und nach einem Nickerchen schlenderte ich los, um uns zwei Sandwiches zu besorgen. Ich steuerte das Lokal an, mit dem kubanischen Deutschland-Fan, in der Hoffnung sie noch einmal zu sehen. Ob sie sich überhaupt an mich erinnern würde? Ich stieg die Treppen zum Lokal empor und sie kam mir bereits freudestrahlend entgegen, riss die Arme auseinander und drückte mich fest an sich. Was für ein schönes Wiedersehen. Ich bestellte Essen zum Mitnehmen und während der Koch alles zubereitete unterhielten wir uns lange. Ihre Liebe zu Deutschland schien mit jedem Wort zu wachsen und da ich mir nach wie vor sicher bin, dass Sie es eines Tages schaffen wird ein Visum zu erhalten, gab ich ihr meine Nummer mit den Worten: „Melde dich, wenn du es geschafft hast.“ Sie schien sichtlich gerührt und so verabschiedeten wir uns für den Moment in eine ungewisse Zukunft.

Nach dem wohltuenden Snack, zogen wir erneut in die Altstadt Havannas und ließen die Stimmung ein letztes Mal auf uns wirken. Da wir kein richtiges Ziel verfolgten, liefen wir einfach drauflos. So trafen wir auch Rouvens Friseur wieder, der uns die Hand reichte und sich freute uns wiederzusehen. Dass er uns überhaupt noch erkannt hat nach zwei Wochen. Vermutlich waren vor uns nicht viele Gringos in seinem Laden gewesen. Wir entschieden uns, noch einen Mojito in der Bar zu genießen, in der wir Liverpool zum Sieg geschrien hatten und trafen auch hier auf bekannte Gesichter. Die Musiker, die auch vor zwei Wochen in der Bar saßen und auf ihre Auftritte während der Halbzeitpause warteten. Sie bezogen gerade die Bühne und spielten kurz darauf ihre rhythmischen Lieder. Wir nahmen erneut an der Theke Platz und bis auf eine Vierergruppe waren wir die einzigen Gäste. Bereits bei unserem ersten Besuch hatten wir ein Bandmitglied aufgrund seiner großen Brillengläser liebevoll „Die Schildkröte“ getauft und selbstverständlich war auch er wieder dabei. Er setzte sich sogleich ans Keyboard und schweifte mit seinem Blick durch das Publikum. Offenbar erkannte auch er uns direkt wieder, denn sogleich formte sich ein großes Lächeln auf seinem Gesicht und er winkte uns fleißig zu. Wie wir später erfuhren, gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des berühmten „Buena Vista Social Clubs“ und war stolze 92 Jahre alt. Wir feierten kräftig zur Musik mit und die volle Aufmerksamkeit der Band war auf uns beide als Zuschauer gerichtet. Die vier anderen Touristen waren zu sehr mit ihren Handys beschäftigt. Nach ihrem Auftritt und kräftigem Jubel unsererseits, reichten wir uns alle die Hände, bedankten uns und verließen voller positiver Energie den Laden. Schön, wenn man an Orte mit bekannten Gesichtern zurückkehrt. Nach einer kurzen Nacht ging es wieder Richtung Flughafen. Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht. Ein Blick nach oben verriet uns, dass Kuba uns entlässt, wie es uns empfing. Mit dicken grauen Wolken am Himmel. In einem Oldtimer Taxi ging es zum Flughafen.



Da alle internationalen Flüge von Terminal 3 abfliegen, steuerten wir diesen gezielt an. Bis auf den Cent genau, hatten wir das Geld ausgegeben und uns noch 25 CUC für die Fahrt aufgehoben. 20 CUC sollte diese kosten und so hatte ich mich schon auf einen Kaffee am Flughafen gefreut. Terminal 3 pulsierte und wir überflogen die Anzeigetafeln der ausgehenden Flüge. Unser Flug war nicht dabei. Am Informationsschalter erhielten wir die Auskunft, dass wir zu Terminal 2 müssten. Dieser war nur mit einer weiteren Taxifahrt erreichbar. Nachdem wir schon in Mexiko am falschen Terminal rausgelassen wurden, es dort aber zumindest einen kostenfreien Shuttle gab, fluchten wir über das erneute Wirrwarr und rannten zum Taxistand. Mit 5 CUC verbliebenem Guthaben in die Verhandlungsrunden einzusteigen war nicht ganz einfach. In weiser Voraussicht hatte sich Rouven im Vorfeld informiert, dass eine Fahrt zum Terminalwechsel 5 CUC kostet.

Das musste er jetzt nur noch der hiesigen Taximafia verklickern. Die Halsabschneider begannen mit 15 CUC hoch zu pokern, mussten sich aber schnell geschlagen geben, als wir ihnen vermittelten, dass wir nicht mehr als 5 CUC im Portmonee hatten.

Kurze Zeit später waren wir dann endlich am richtigen Terminal. Vielleicht sollten wir unsere Abflüge bald unter ein Motto stellen: „Terminal 1,2 oder 3? Wenn ihr wirklich richtig steht, sehr ihr wenn euch ein Licht aufgeht!“

Nach mehreren Kontrollen und dem Ausreisestempel im Reisepass, warteten wir in einer großen Halle auf den Abflug. Der Flieger stand bereit, die Flugzeit betrug nur 50 Minuten und wir freuten uns auf die Kurzstrecke mit BahamasAir. Das Boarding war längst überfällig, an eine Durchsage seitens der Crew war jedoch nicht zu denken. Plötzlich krachte und donnerte es um uns herum. Ein Blick aus den Fenstern verriet uns, dass wir das Land wohl so schnell nicht verlassen werden. Ein Unwetter tobte über unseren Köpfen. Die Schauer wurden schlimmer und die wartenden Fluggäste ungeduldiger. Ich hatte erneut das Horrorszenario vom Anflug auf Kuba im Hinterkopf und empfand keine Lust mehr auf den Flug. Mit 1,5 Stunden Verspätung hob der Flieger ab in Richtung Nassau. Bis zur Landung verlief der Flug angenehm ruhig und das Bild, das sich unter uns erstreckte, war traumhaft. Die Karibik von oben zu betrachten gleicht einem verwunschenem Märchen. Kurz vor dem Anflug verdunkelte es sich wieder und die Durchsage des Piloten riss uns aus dem Schwärmen. Es herrscht starkes Unwetter über Nassau und es ist mit Turbulenzen zu rechnen. Bitte nicht schon wieder! Das flaue Gefühl im Magen machte sich bemerkbar, Rouven setzte zum Tunnelblick an und so durchbrachen wir die dicke Wolkendecke.

Neben ein paar Schaukeleien, landeten wir jedoch sanft auf dem Boden der Insel New Providence und die Karibik begrüßte uns erneut mit starken Regengüssen. So lassen wir Kuba für diese Reise hinter uns, wissentlich, dass wir eines Tages zurückkommen werden. Kuba, wir lieben Dich!



 

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