NEW ORLEANS | OAK ALLEY
Nach Miami kamen wir richtig in Fahrt und freuten uns auf die weiteren Städte der USA auf unserer Tour. Der nächste Stopp sollte uns nach New Orleans bringen. Der Stadt des Jazz, des Mardi Gra, der Perlen und der Austern.
Am Flughafen angekommen, zeigte sich mal wieder, wie schlecht das System der öffentlichen Verkehrsmittel in den Staaten ist. Was für uns selbstverständlich, ist für die Amerikaner eine Rarität. Niemand fährt wirklich mit öffentlichen Verkehrsmitteln in den USA. Jeder hat sein Auto oder nutzt Uber. Wir entschieden uns dennoch für das Abenteuer der Busfahrt in die Innenstadt und wurden direkt mit 40 Minuten Wartezeit bestraft. Einige Junkies, ein paar verlorene Touristen und einige Alkoholiker gesellten sich zu uns in den Bus. So schunkelten wir in geselliger Runde eine knappe Stunde in Richtung Down Town. Unweit des French Quater war unser Hotel perfekt gelegen. Abzüge gab es lediglich dafür, dass das Hotel vergessen hatte Fenster in unser Zimmer zu bauen.
Fernab jeglichen Zeitgefühls, lebten wir in dieser Dunkelkammer unser tristen Dasein. Es ist schon ein sehr befremdliches Gefühl, keine Beziehung nach draußen zu haben. Lange hielten wir es in unserem Zimmer nicht aus. Stattdessen erkundeten wir das berühmte French Quater mit seiner noch berühmteren Bourbon Street.
Im Grunde genommen ist es die Reeperbahn der USA und der einzige Ort, an dem die Amerikaner in der Öffentlichkeit Alkohol konsumieren dürfen. Die bunten Leuchtreklamen reihten sich aneinander und „leichte“ Frauen priesen sich in den Gassen an. NOLA, wie die Einheimischen ihr New Orleans nennen, ist freizügig, anders, tolerant, knallbunt und einzigartig. Die Straßen waren geprägt von Regenbogenflaggen, Jazzmusikern und Künstlern, die Ihre Bilder feilboten. Neben all dem Schönen, trifft man auf den Straßen NOLA’s auf viel Armut, Drogen und Obdachlosigkeit. Die Mischung macht diese Stadt authentisch und ehrlich, verletzlich und schön. Ein einzigartiges Flair umgab uns sowie dutzende Austernrestaurants. Natürlich wollten wir die köstlichen Meeresfrüchte nicht auslassen und steuerten in ein Restaurant. Sofort wurden wir in ein Gespräch mit unseren Sitznachbarn verwickelt, die uns von dem Essen nur so vorschwärmten. „Ihr müsst den großen Teller gegrillter Austern essen. Ihr müsst!“ Wie ein Mantra wiederholten sie diesen Satz zu uns und dem Kellner.
Auch dieser empfahl uns dieses Gericht und wir sagten ihm, dass es verlockend klingt, wir die Karte zunächst einmal in Ruhe in Augenschein nehmen. Offensichtlich verstand der sympathische aber äußerst verwirrte Kellner diesen Wortlaut als Bestellung und brachte uns kurze Zeit später eine gigantische Portion Austern. Irritiert starrten Rouven und ich uns an. Die Amerikaner am Nachbartisch schienen das Missverständnis bemerkt zu haben und wussten, dass Sie aufgrund der enormen Schwärmerei und den Gesprächen mit dem Kellner, an der fehlerhaften Bestellung nicht unschuldig waren. Noch immer starrten Rouven und ich die Muscheln vor uns an. Ich freute mich auf die Leckerbissen, Rouven war noch etwas am Hadern.
Währenddessen gaben unsere Nachbarn der Servicekraft zu verstehen, dass sie gerne die Hälfte unserer Austernrechnung übernehmen wollen. Als „Welcoming“ in den USA und damit wir die Delikatesse voll und ganz genießen können. Denn auch in den Staaten ist diese Meeresfrucht kein günstiges Gericht auf der Karte. Und sie sollten recht behalten. Am Ende kämpften Rouven und ich um die schmackhaften Köstlichkeiten auf dem Teller.
Nach dem Gaumenschmaus machten wir einen Spaziergang, hörten den Jazz-Musikern auf der Straße zu und genossen die warme Sommerluft.
Der Folgetag bestand aus viel Hitze und einem Ausflug in den Warehouse District. Das Hipster Viertel von New Orleans strahlt durch seine Ateliers, Künstler, kleinen Cafés und Concept Stores eine sehr entspannte und lässige Atmosphäre aus. Durch die Straßen zu flanieren und dem pulsierenden Leben zuzuschauen ist ein wahres Vergnügen. Die letzten Tage des Fast Foods und unregelmäßigen Essens jedoch, setzten uns zu und unsere Energieanzeigen zeigten in Richtung Null. Also versuchten wir uns für den heutigen Tag gesünder zu ernähren und schauten uns nach Essens Optionen um. Fast Food Läden soweit das Auge reicht und auch das Internet spuckte lediglich Austern Bars aus. Am Ende wurde es Salat von McDonalds. Na dann, guten Appetit!
Bevor wir in das nächtliche Gewimmel der Bourbon Street eintauchen, wollten wir die Stadt aus einer anderen Perspektive betrachten. Wir bestiegen eine Fähre, die uns über den Mississippi brachte. Von der anderen Uferseite aus, hatten wir einen wunderschönen Blick auf die Stadt und ihre Skyline.
Die Dämmerung setzte ein und wir machten es uns auf einer Wiese gemütlich. Scheinbar hatte sich dieser Spot unter den Touristen noch nicht verbreitet, denn wir waren zu unserer Überraschung völlig allein. Die blaue Stunde begann, das Farbspiel am Himmel veränderte sich und der Moment gehörte nur uns. Die berühmten Mississippi Dampfer fuhren an uns vorbei und vermittelten das Gefühl, wirklich weit weg von zu Hause zu sein. Einige Male erwische ich mich dabei, Momente ganz besonders intensiv genießen zu wollen. Gelingen tut es eher selten, denn der Genuss kommt nicht von Druck oder Zwang. Der Genuss und die schönen Erinnerungen kommen von Momenten wie diesen. Ungezwungen, unerwartet, locker und spontan.
Der Fährmann brachte uns von der Ruhe zurück ins Epizentrum der Feierwütigen. Die Bourbon Street erinnerte uns stark an die Reeperbahn in Hamburg und Heimatgefühle stiegen in uns auf. Morgen ist der 4. Juli und damit der Unabhängigkeitstag der USA. Dementsprechend ausgelassen feierten die Massen ihre Freiheit.
Wir begegneten auf unserem Fest der Sinne vielen bunten Gestalten, schrillen Menschen und Paradiesvögeln. Doch eine Person stach besonders hervor - die „Partyqueen“. Eine betagte Frau, schätzungsweise Mitte 70, fuhr mit ihrer Fahrradrikscha durch die Straßen New Orleans. Statt Fahrgästen transportierte sie eine imposante Musikanlage, aus der basslästige Musik strömte. Dazu tanzte und bewegte sie sich, wie Rouven sie schwärmend umschrieb, als „elfenhafte Gestalt“. Sie begeisterte und steckte jeden mit ihrer guten Laune und guten Vibes an.
Auch Rouvens Beine konnten dem Beat nicht widerstehen und so tanzte er atemlos durch die Nacht.
Und dann stand er an: Der 4th of July. Der Unabhängigkeitstag Amerikas. God bless America. Es war Donnerstag und die meisten US Amerikaner hatten den Brückentag frei genommen. Wir erkundeten den Garden District und staunten über die vielen schmuckhaften Südstaaten-Häuser. Die charakteristische Veranda, samt Schaukel oder Stuhl, den riesigen Vorgärten und der obligatorischen Flagge am Haus. Eigentlich fehlten nur noch die weißen Zipfelmützen und ein brennendes Kreuz, um das Klischee zu bestätigen.
Das Viertel war traumhaft schön und lud zum Verweilen ein. Die Straßenbahn, aus dem Jahr 1835 stammend, brachte uns heute von A nach B. Damit ist sie die älteste, noch im Einsatz befindliche Straßenbahn der Welt. Der Schaffner hatte alle Hände zu tun, die antiquarische Maschine zu bedienen. Die alte Schönheit verleiht dem Stadtbild ebendies Ambiente, das die Menschen in New Orleans sehnsüchtig suchen. Rustikalen Charme, gepaart mit der Moderne.
Obwohl es der 4. Juli war, gab es keine Paraden. Dafür sollte am Abend ein großes Feuerwerk am Mississippi River auf uns warten. Unabhängig voneinander, hatten wir beide ein mulmiges Gefühl, in größere Menschenansammlungen zu tauchen. Besonders in den USA, wo die Verrückten dieser Welt ohne jegliches Hindernis an Waffen kommen. Dennoch, wir wollten uns das Vergnügen nicht nehmen lassen und sicherten uns einen Platz am Wasser. Das Feuerwerk begann, konnte uns aber wenig beeindrucken.
Ich kam in ein Gespräch mit zwei Amerikanerinnen aus Alabama. Auf die Frage: „Stimmt es, dass die Flüchtlinge euch Europäern den gesamten Lebensraum wegnehmen und ihr in Europa quasi alle obdachlos werdet…?“, wusste ich ehrlich nicht, was ich sagen sollte. Mit ihrer Aussage: „Ich mag es nicht, wenn Leute die Hand aufhalten und unsere Benefits klauen wollen.“, zog sie sich ihre imaginäre Zipfelmütze auf und entpuppte sich als waschechter Idiot. Mir verschlug es die Sprache.
In dem Moment kletterte Rouven vor mir über eine Absperrung zum Mississippi River und redete mit ernster Miene auf mich ein: „Jetzt bleib ganz ruhig Maj, komm einfach mit. Hab keine Angst!“
Mir stockte der Atem und Adrenalin schoss in meine Adern. Als ich mich umdrehte, sah ich Menschenmengen, die voller Panik in alle Richtungen rannten und angsterfüllt um ihr Leben schrien. Rouven hatte genau diese Situation schon vorher in seinem Kopf abgespielt, was zu tun sei, wenn eine Massenpanik ausbricht. Also kletterten wir zur Uferkante, bereit, um uns im letzten Moment ins Wasser zu retten.
Glücklicherweise ist uns der Sprung ins reißende Wasser erspart geblieben, denn nach kurzer Zeit beruhigte sich die Lage wieder. Der Auslöser für die Panik waren einige Knallkörper, die einige Knallköpfe in der Menschenmenge gezündet hatten. Das passiert bei uns in Deutschland bei jedem öffentlichen Sylvesterfest. Mit dem Unterschied, dass wir nicht die Angst haben, dass es sich bei der Knallerei gleich um Schusswaffen handelt. Wir zogen noch etwas durch die Straßen und das Nachtleben, um das Geschehene zu verarbeiten und endeten in einer kleinen Jazz Bar. Der Genius Loci brachte uns wieder ins Gleichgewicht. Dennoch beschäftigte uns das Erlebte noch die gesamte Nacht über und wir fanden keine Ruhe.
Vollkommen übermüdet packten wir am Folgetag unsere Rucksäcke. Am Abend geht unser Flieger nach New York.
Vorher hatten wir noch ein Highlight auf unserer Liste zu kreuzen. Wir mieteten uns ein Auto, um damit zu einigen Plantagen zu fahren. Die freundliche Mitarbeiterin bei der Autovermietung bot uns ein kostenloses Upgrade an. Einen schneeweißen Ford Mustang mit Rennstreifen! Als passionierte Autofahrerin freute ich mich schon auf den Ausflug mit reichlich Pferdestärken. Doch ich hatte meine Pläne ohne Rouvens Müdigkeit gemacht. „Da passen doch unsere Rucksäcke gar nicht rein. Wir können doch das normale Auto nehmen.“, gähnte er vor sich hin. Ich konnte gar nicht so schnell reagieren, da erhielt eine andere Dame bereits die Mustang Schlüssel und brauste davon. Zähneknirschend stieg ich ein, zündete den Motor und wir fuhren Richtung Plantagen. Nach einer halben Stunde war Rouven plötzlich aus seiner Lethargie erwacht und fing an, sich selbst dafür zu verfluchen, nicht in einem Mustang chauffiert zu werden…
Die Südstaaten sind für vieles bekannt. Am Berühmtesten sind sie wohl für ihre Plantagenfelder und der damit einhergehenden Sklavengeschichte. Beides vereint, findet man auf vielen Plantagen westlich von New Orleans. Wir steuerten Oak Alley an und waren fasziniert von der Schönheit, Großzügigkeit und Perfektion dieses Anwesens. Die prachtvollen Herrenhäuser entlang der Plantagen dienten schon als Kulisse für Filme, wie Django, 12 years a slave und vielen mehr.
Wir durchlebten die Abwechslung, die Natur und die Weiten. Nach Urbanität, Beton, Skylines und engen Straßen, ist das dominierende Grün eine Wohltat für unsere Augen. Ein passender Abschluss für unser Südstaaten Abenteuer. Die nächste Skyline wartet bereits auf uns. Und nicht irgendeine Skyline, sondern DIE Skyline der Welt. Und diese steht in der Stadt, die niemals schläft!
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