Todo Bien.
Getreu dem Motto: "Todo Bien“, verbringt unser Gastgeber Jose-Luis sein Leben auf den Tabakfeldern Vinales. Egal was ihm auch geschieht, er grinst sämtliche Probleme einfach hinfort. Wenn er lächelt, dann tut er das mit jeder Faser seines Körpers. Er strahlt über beide Wangen, in seinen Augen erscheint ein Glänzen und die Welt mag für einen Moment lang eine bessere sein. Auch wenn wir uns, aufgrund der Sprachbarriere, nur wenig verständigen konnten, so spricht sein Ausdruck und sein Charakter doch mehr als tausend Worte. Die Konversation bestand zumeist aus einer Frage: „Todo bien?“ und einer Antwort: „Todo bien!“.
So erlaubten wir uns, ihn zum Ende eines starken Gewitters hin, auf eine flackernde und leicht Funken sprühende Glühbirne bei uns an der Zimmerdecke aufmerksam zu machen.
Rouven, der Handwerkerlaie himself, stellte eine gewagte Diagnose: „Ich glaube, da muss einfach die Glühbirne festgedreht oder ausgetauscht werden.“ Kein großes Problem, dachten wir noch in unserem jugendlichen Leichtsinn.
Ich zeigte ihm die Lampe, welche hoch oben von der Decke baumelte, unter dem strohgedeckten Dach. Für den Bruchteil einer Sekunde verschwand das sonst so angewachsene Lächeln aus seinem Portrait.
Vermutlich zum ersten Mal in seinem Leben, seit er das Licht der Welt erblickte, zeigten seine Mundwinkel nicht nach oben, sondern Sorgenfalten durchzogen seine Stirn und das pure Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschnitzt.
Für einen kurzen Moment schien er nicht zu wissen, was als nächster Schritt anstand und so taperte er grübelnd unter der Funken sprühenden Glühbirne umher. Da schaute er auf, mir direkt ins Gesicht und sagte nur zwei Worte: „Todo Bien“! Und mit diesen Worten kehrte auch sein Lächeln zurück ins sonnengegerbte Anlitz.
Er deutete an, dass er kurz in die Stadt zum Elektriker fährt und für Morgen um Hilfe bittet. Ich gab ihm meinen obligatorischen Daumen hoch und versprach ihm das Licht nicht anzumachen. Leicht besorgt um unsere Sicherheit ließ ich ihn von Dannen ziehen.
So fuhr er, samt leerem Mini-Rucksack auf seinen Schultern und Strohhut auf seinem Kopf, auf seinem klapprigen Fahrrad durch das schlammige Tabakfeld in Richtung Stadt.
Kurze Zeit später kehrte er grinsend zurück, winkte uns fleißig zu und zündete sich eine Zigarre an. Wir schätzten mal „Todo bien“...
Es dämmerte bereits und wir tranken genüsslich unsere Mojitos auf unserer Veranda.
So ließen wir die Blicke über die Felder schweifen und staunten nicht schlecht, als wir einen Mann in der Ferne erspähten. Im Blaumann gekleidet, mit einem Koffer bewaffnet und zu Fuß aus der Stadt kommend, rückte er unserem Haus immer näher zu Leibe. „Das kann doch nicht…“, dachten wir noch und bevor der Gedanke zu Ende reifen konnte, kam Jose-Luis mit geschwellter Brust aus dem Haus und verkündete: „Der Elektriker ist da!“. „Doch, es konnte…“.
Wir grinsten nur noch, was vermutlich auch am steigenden Alkohol-Pegel lag, begrüßten den Mann und staunten nicht schlecht über den Ablauf des Abends. Dass unser Gastgeber bereits direkt in die Stadt radelte, um Alarm zu schlagen, war für uns schon faszinierend. Wieso greift er nicht zum Telefonhörer und ruft den Elektriker an? Und wieso kommt der Elektriker sofort zu Fuß und bei Dämmerung und nicht erst am nächsten Tag? Was muss Jose-Luis ihm für Horror Stories erzählt haben? Fragen über Fragen aber wir wundern uns nach zahlreichen Erlebnissen auf unserer Reise inzwischen nicht mehr so sehr, wie noch zu Beginn. Andere Länder, andere Sitten.
Wir gewährten dem Blaumann Eintritt in unsere Holzhütte und zeigten ihm den Funkenschläger. Wie in einem schlechten Film, griff er sich lachend an den Bauch und warf seinen Kopf in den Nacken. Er deutete an, dass Jose-Luis vollkommen übertrieben hatte bei seinen Erzählungen. Er sah die Hütte bereits in Schutt und Asche liegen. Der Kandidat Rouven sollte 100 Punkte für seine vortreffliche und stichhaltige Analyse erhalten, denn es musste tatsächlich nur die Glühbirne gewechselt werden. Nur wie kam man jetzt an die Hängelampe heran, um das Leuchtmittel zu wechseln?
Jose-Luis sammelte derweil Holzreste aus dem Schuppen zusammen, um diese dann zu einer 1A Leiter zu verarbeiten. Was für ein Bild!
Wir malten uns aus, wie die Situation wohl in Deutschland gewesen wäre und wie lange man dort auf einen Elektriker hätte warten müssen? Erstmal drei Kostenvoranschläge einholen, wovon zwei bereits kostenpflichtig sind und dann das beste Angebot auswählen, um auf den Blaumann vier Wochen zu warten.
Die ganze Runde auf der Farm lachte inzwischen herzhaft über die Situation und Jose-Luis strahlte am Hellsten von allen. Die Glühbirne war im Nu gewechselt und das Problem gelöst. Am Ende war mal wieder alles „Todo bien“. Jose-Luis hatte eine neue Leiter und wir wieder Licht. Und wenn er schon den langen Weg auf sich genommen hat, dachte der Blaumann noch gar nicht daran wieder zu gehen.
Er blieb zum Essen, auf einen Rum und ein paar Zigarren. Die Herrschaften verschwanden in Jose-Luis Haus und der nie zum Einsatz gekommene Koffer lag unbeachtet auf dem Tisch der Veranda. Es wurde dunkel und wir zogen uns ebenfalls zurück. Die Felder lagen nun im tiefen Schwarz und kein Lichtschein traf den Boden. Als wir zu Bett gingen, schauten wir noch einmal neugierig auf die Veranda. Der Koffer lag noch immer unbeachtet auf dem Tisch und wartete auf seinen Besitzer, der noch bis spät in die Nacht mit den Gastgebern lachte und Zigarren rauchte.
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